Weddinger Persönlichkeiten
Ernst Schering - LEBEN UND WERK



Die 2. Oberschule im Bezirk Wedding existiert seit dem Jahr 1979. Jetzt erhält sie endlich den Namen Ernst Scherings, der mit der Geschichte des Bezirks in engster Verbindung steht.
Ernst Schering starb 1889 im Alter von 65 Jahren. Sein Leben und Werk soll in diesem Aufsatz gewürdigt werden.

Herkunft und Berufswunsch

Ernst Schering wurde am 31. Mai 1824 in Prenzlau als Sohn eines Gastwirtes geboren. Wie so häufig im Leben wollten die Eltern, daß ihr Sohn einen »besonderen« Beruf erlernen sollte: den eines Apothekers. Der Jugendliche sträubte sich gegen die Absicht der Eltern, weil er bei den Tätigkeitsfeldern des Apothekers ein »ungesundes Leben« vermutete. Außerdem glaubte er, daß zur Gründung einer Apotheker-Existenz viel Geld nötig wäre.

Wegen seiner engen Beziehung zur Natur wollte er viel lieber Förster werden, denn dieser würde sich in der freien Luft entsprechend abhärten können und damit an Kraft und Gesundheit gewinnen.

Die Eltern hingegen ließen nicht locker, und nach langen Auseinandersetzungen folgte Ernst schließlich deren Vorstellungen und fing eine Apothekerlehre an.

Eine ausschlaggebende Rolle spielte auch der ältere Bruder, der als wohlbestallter Beamter in Regierungsdiensten bereits in Berlin lebte und dem jüngeren Bruder während der Lehrzeit Kost, Logis und Lehrgeld anbot, was dieser später annahm.

Stationen des beruflichen Werdeganges

Eigensinnig wie der spätere Unternehmer nun einmal war, wollte er - wenn er schon die »Apothekerkröte« schlucken mußte - seine Lehre »nicht in einer kleinen Bude« in Prenzlau, sondern in der berühmten »Apeliusschen Apotheke« in der damaligen Roszstraße absolvieren.

Während der Ausbildung ab 1841 hatte der Lehrling die Möglichkeit, mit den damals häufig benutzten pharmazeutischen Chemikalien - Sublimat, Jod, Brom und Phosphor - umzugehen. Schon in dieser Zeit bemühte sich der Präparand, die damals noch recht »schmutzig« aufbereiteten Pharmaka so »sauber« wie möglich herzustellen.

Nach Abschluß der Lehrzeit arbeitete der Gehilfe - wie es damals üblich war - in mehreren Apotheken, um sein fachliches Wissen zu erweitern.

Apotheken in Berlin als weiterer Erfahrungsraum reichten ihm indes nicht aus. So zog der 21jährige in verschiedene Städte im Westen des Deutschen Bundes bzw. Preußens, um andere Regionen und Menschen kennenzulernen.

Mitten in den Wirren des Revolutionsjahres 1848 zog es den »Bildungsreisenden« in Sachen Pharmazie wieder nach Berlin zurück. Hier studierte er Pharmazie und schloß das Studium am 6. August 1850 mit der Note »sehr gut« als »Apotheker 1. Klasse« ab.

Gründung der »Grünen Apotheke«

Bald nach bestandenem Examen kaufte sich Schering 1851 die sogenannte »Schmeissersche Apotheke«, die in der Chausseestraße 21, direkt neben einem der zu jener Zeit größten Fabrikgebäude in Berlin, »Borsig«, lag. Die direkte Nähe zu Arbeitern, die zu den Kunden der Apotheke zählten, sollte sich auf das Verhältnis des späteren Firmeneigentümers zu seinen Arbeitern günstig auswirken.

Die Apotheke selbst besaß noch keinen Firmennamen. Nach eingehender Diskussion mit seiner Frau entschloß sich der Apothekenbesitzer, sie mit »grün« zu titulieren, in Erinnerung an die Apotheke gleichen Namens in seiner Heimatstadt.

Im übrigen erhielt Ernst Schering kurz vor dem Kauf der Apotheke ein attraktives Angebot, eine solche Einrichtung in einem kleinen schlesischen Dorf zu übernehmen.

Was wäre dem Bezirk Wedding dadurch verlorengegangen?

Herstellung von Chemikalien in größter Reinheit/Offizielle Anerkennungen

Die bereits während der Lehrzeit aufgenommene Handlungsweise, Chemikalien in größter Reinheit herzustellen, damit sie der Gesundheit des Patienten wirklich dienten, setzte Schering in seiner Apotheke fort. So stellte er in seinem kleinen Laboratorium, das hinter dem Verkaufsraum lag, Jodkalium her, das in seiner Reinheit in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts unübertroff war. Mit dem Laboratorium schuf sich der Apotheker bereits ein Vorfeld zur Herstellung von Chemikalien auf industrieller Grundlage (im Sinne einer großen Mengenproduktion).

Auf der Pariser Weltausstellung 1855 stellte er seine »reinen« Präparate einer breiten Öffentlichkeit vor. Der Lohn war die Anerkennung durch Fachleute, die ihm eine silberne Medaille als Preis zuerkannten.

15 Jahre später übernahm der Firmenbesitzer die Arzneimittelversorgung von Armeekorps, die im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 kämpfte Offensichtlich müssen seine Präparate den Verletzten des Krieges so geholfon haben, daß ihm der »Rote Adlerorden« zuerkannt und der Titel eines »Königlichen Kommerzienrates« verliehen wurde.

Auf weiteren Weltausstellungen in Wien (1873) und im amerikanischen Pliladelphia (1876) erhielt Schering noch weitere Auszeichnungen.

Zusätzlich erweiterte er sein Arbeitsfeld, indem er sich in der Entwicklung der Photographie betätigte.

Errichtung einer chemischen Fabrik an der Müller-/Fennstraße/ Erteilung einer Konzession/ Hergestellte Chemikalien

Aufgrund der starken Nachfrage nach den ausgezeichnten Präparaten - der Umsatz stieg auf 12 000 Taler 1855 - wandelte Ernst Schering sein Apotekenlaboratorium in eine Fabrik für chemische und pharmazeutische Präpa? te um. Hierfür brauchte er ein neues Gebäude, das aber erst im Jahre 1864 fertiggestellt werden konnte.

Es wurde ein Antrag auf Konzession an den preußischen Staat gestellt, die dieser am 21. September 1864 erteilte. Aus der Konzessionsurkunde geht hervor, welche Chemikalien mit ihren Verfahren hergestellt wurden. U.a. war es: Chloroform, zerlegt durch Chloralhydrat; Salpetersäure, Salzsäure, gerenigt durch Destillation der rohen Säuren.

Die Fabrikation in den 60er Jahren war noch verhältnismäßig klein, denn waren nur wenige Apparaturen wie Porzellan-Tonschalen, Glasretorten und -kolben, Sandbäder, Holzbottiche und einfache Kessel für die Kohlenfeuerung vorhanden. Erst nach und nach wurden weitreichende Investitionen getätigt, so die Einrichtung eines Kesselhauses.

Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft: Beginn, Krise und Aufstieg

Ernst Schering war der Typ eines Apothekers und Chemikers, der sich um geschäftliche Dinge nur insofern kümmerte, als sie der Fristung einer Existenz dienten. Zu einer Ausdehnung auf ganz großer Basis mußte er von Freunden und Geschäftsleuten gedrängt werden.

So folgte er dem Verlangen und wandelte mit einem Kapital von 500 000 Thalern, das er durch eine Vereinsbank erhielt, sein Unternehmen in eine »Chemische Fabrik auf Actien« um. Das Datum der Umwandlung war der 23. Oktober 1871, ein halbes Jahr nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges. Es erwies sich als sehr günstig, weil mit der neuen Gesellschaftsform ein wirtschaftlicher Boom einsetzte. Zwei Jahre lang prosperierte die Firma so stark, daß neue Flügel gebaut werden konnten. An die Aktionäre wurde pro Jahr ein Dividende von 8% verteilt.

Doch 1873 waren die »Gründerjahre« am Ende; viele Banken und neugegründete Unternehmen wurden zahlungsunfähig. Die Gesellschaft litt unter dem starken Preisrückgang von fertiggestellten Präparaten.

Den Aktionären konnte keine Dividende ausgezahlt werden. Schering war von dieser negativen Entwicklung derartig konsterniert, daß er zum Amtsgericht gehen und dort seine Zahlungsunfähigkeit erklären wollte, was das vorläufige Ende der Aktiengesellschaft bedeutet hätte. In dieser schweren Zeit war es das Aufsichtsrats- und Gründungsmitglied J.F. Holtz, der in den Vorstand eintrat und von dort aus die kaufmännische Leitung übernahm. Holtz gab trotz der Krise nicht auf. Es gelang ihm nach Überwindung der Krisenjahre sogar die Erweiterung der Produktion. Mit ihm expandierte die ScheringAG auf ausländische Märkte.

Verhältnis zu Mitarbeitern / Soziale Fürsorge / Einrichtung einer Stiftung

Zum Gedeihen der Firma trugen in hervorragender Weise Arbeiter und Meister der chemischen Fabrik bei. Ernst Schering sah sie nicht nur als wirtschaftliche Kräfte, sondern auch als Menschen mit sozialen Problemen.

So gründete er 1876 die »Freie Hilfskasse«, die als eine der ersten Betriebskrankenkassen überhaupt anzusehen ist. Ihre Einrichtung geschah noch vor der gesetzlichen Verankerung durch den Staat in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts.

Zehn Jahre später, als Schering schon im Ruhestand war, aber noch auf die AG Einfluß nahm, wurde durch J.F. Holtz die »Beamten- und Arbeiter-Pensionskasse« gegründet. Ihr folgte die »Witwen- und Waisenkasse« im Jahre 1892. Beide Versicherungen wurden ebenfalls vor ihrer gesetzlichen Verankerung ins Leben gerufen.

1882 schied Ernst Schering aus gesundheitlichen Gründen aus dem Aufsichtsrat aus. Dies nahm er zum Anlaß, eine Stiftung zu errichten, aus deren Zinserträgen Arbeitern, die über 20 Jahre ununterbrochen bei der Firma tätig waren, eine einmalige Summe von 100 Mark erhielten, was damals viel Geld war.

Berliner Wohnorte und Lebensstandard von Ernst Schering

Bald ein Vierteljahrhundert lebte Schering mit seiner Familie in dem Haus Chausseestraße 21, wo er seine »Grüne Apotheke« führte. Dort lebten sie, gemessen an dem Einkommen des Apothekers, in einfachen Verhältnissen. Erst um 1875 - also mit dem wirtschaftlichen Wiederaufstieg der AG - siedelte die Familie nach Charlottenburg über, wo sie in einer vornehmen Villa lebte.

In den Jahren von 1871-73, als Ernst Schering alleiniger Vorstand war, erhielt er als Tantieme 15% vom Gewinn der AG. In absoluten Zahlen ausgedrückt waren dies im ersten Jahr 5.000, im zweiten 10.000 Taler.

Während der Wirtschaftskrise mußte auch Schering auf seine Tantieme verzichten. Im Anschluß daran erhielt er nur noch 10% des Nettogewinns. Dies war 1876 eine Tantieme von 582 Mark. Die Höhe der Tantiemen nahm rapide zu. Sie betrug 1882, als Schering aus dem Vorstand ausschied, 22.289 Mark.

Werner Wendorff